97-84177-22 Harms, Bernhard

Das

Staatswissenschaftliche. . . Jena

1911

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Harms, Bernhard# 1876-1939.

^8 staatBWisaenochaftliohe Institut an der Universität Kiel, unter besonderer berüoksiohti. gung seiner "Abteilung für Seeverkehr und Welt- wirtschaft; rede gehalten bei der eröffnungsfei.

er an 24 Febr, 1911, von Bernhard Harms ... J ena , Fischer, 1911,

31 P* 23 cm.

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Staatswissenschaftliche Institut

an der Universität Kiel.

Unter besonderer Berücksichtigung seiner

,yAbteilung für Seeverkehr und Weltwirtschaft.

Rede

gehalten bei der Eröffnungsfeier am 24. Febr. IQll

von

Dr. Bernhard Harms

o. Prof, und Direktor des Staatswissenschaftl. Instituts a. d. Universität Kiel.

Jena

Verlag von Gustav Fischer

1911.

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VERLAG von GUSTAV FISCHER in JENA.

S eit Oktober 1910 erscheinen :

Probleme der Weltwirtschaft.

Schri H;en des Instituts für Seeverkehr und Weltwirtschaf an der üniv, Kiel.

H^rausgegeben von

Prof. Dr. BERNHARD HARMS.

Unter dem Titel „Probleme der Weltwirtschaft** gibt der bekannte Kieler Nation; .lökonom eine Sammlnng heraus, die allgemeines Interesse beanspruchen dürfte. Diese Veröfft atlichungen wetten unter dem Gesichtspunkte einer allmählich systematischen Darstellung weltwii 'schaftlicher Einzelfragen zusammengestellt, und durchweg von Verfassern geschrieben die ihrt Studien an Ort und Stelle ln den betreffenden Gebieten der Weltwirtschaft gemacht und ihre Al haudlungen auf diese fußend verfaßt haben. Es wird sich daher einerseits um selbstän- dige w rtvolle Untersuchungen handeln, die auch aus den von dem Direktor des Institutes für Se^erl und WeltwirtTChaft g^ebenen Gesichtspunkten Nutzen ziehen , andererseits aber werden durch diese Arbeiten unsere Kenntnis auf einem jener wenigen Gebiete bereichert werden ^f wel ;hen heute die Nachfrage nach wissenschaftlichen Darstellungen größer ist als das Angebot! Die He te werden in zwangloser Reihenfolge erscheinen und jedes Heft wird einzeln käuflich sein!

Bisher erschien:

I. Die Stellung der Segelschiffahrt zur Weltwirtschaft und

Icchnik. Von Dr. William Scholz. Diplom-Ingenieur. Mit 13 Tafeln. 910. Preis; 16 Mark..

In Kürze erscheinen:

II. )ie Eisenerzerzeugung Europas. Von Dr. Th. Sehmer. Mit

itiner Karte.

IIL j)äneniarks Stellung in der Weltwirtschaft, unter beson-

< lerer Berücksichtigung Deutschlands u. Englands. Von Dr. K. A. Gerlach.

Ferner befinden sich die folgenden Arbeiten in Vorbereitung:

Die E ohlenversorgung Italiens.

Die g eilende Skala für GetreidezöUe.

Die E senbahnpolitik in den nordafrikanischen Kolonien Frankreichs. Schiff ihrt und Schiffahrtspolitik in den Vereinigten Staaten von Amerika. Die weltwirtschaftliche Bedeutung Kanadas.

Erzbe 'gbau und Erzausfuhr in Schweden.

Die F iianziernng der englischen Schiffahrtsgesellschaften.

Schiffahrt und Schiffahrtspolitik Frankreichs.

Die weltwirtschaftliche Bedeutung des Panamakanals.

Hamb irg und Lübeck in der Ostsee.

Entwiaklung und Bedeutung des Emdener Hafens.

Die Zichorie und die Zichorienindnstrie in den wichtigsten Ländern.

Die V alkswirtschaft Ungarns.

Vom nh tschaftsleben der primitiven Völker (unter besonderer ßerück- si< htigung der Papuas von Neugninea und der Sakais von Sumatra). Juteanbau und Juteindustrie in Indien.

Die in lische Eisenindustrie.

Die V< rwaltung der indischen Häfen.

Der indische Weizen.

Die indische Baumwolle.

Reisbau und Reishandel in Birma.

Der Ta >akbau in Niederl. -Indien, unter besond. Berücksichtigung Sumatras. Ringbildungen in der ostasiatischeh Schiffahrt.

Die utschukkultur in Südostasien.

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Fortsetzung auf Seite j des Umschlags,

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Das

Staatswissenschaftliche Institut an der Universität Kiel.

Unter besonderer Berücksichtigung seiner

, Abteilung für Seeverkehr und Weltwirtschaft.“

Rede

gehalten bei der Eröffnungsfeier am 24. Febr. 1911

tL

von

Dr. Bernhard Harms

o. Prof, und Direktor des Staatswissenschaftl. Instituts a. d. Universität Kiel.

Jena

Verlag von Gustav Fischer 1911.

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Söhn des Inötitats fihf Seevei^

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N&ttoni UJkonom 6ds«,;^q»inmag harai;», di^

VeEf)ff< atlidiuisgdQ. we^e&L uat^ weltwh :scluifUi<4^ BSthzeifrageii .xüi» die ihn Studieii «ä Ort und

ihre A! Ji^dlungen auf diese feiäönd Verfaßt .iSi ,

dige W' rtvoile Usteiauct^ungen luindein, die ftiRihL a^ yon den 8werl e^ und W^twirtvahaft. gegebenen GesioKÄpiwacteD Nutä^

aorch dieie Arbeiten imaere EenatAia aut^ed^iener ve&%0^Gem^ Mi^chertw^ wel ?faen heute die Nftchfra^ nach wissemchafölclieii J3^WIütigea grd^>lat ala Angeb<^. the He te werden in zwangioear Reihenfolge erscheinen üna-Jedes He^^ ei^wln lüiwflich aein!

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Unter besonderer Berücksichtigung seiner

Abteilung für Seeverkehr und Weltwirtschaft

:ner Karte.

)äneniarks Stellung in der Weltwirtschaft, unte

crer Benickaichtiguog Deatsehländs n. Englands, ^’^on Dr. K. A. ( Ferner befinden eich die folgenden Arbeiten In Vorbereitun

gehalten bei der Eröffnungsfeier am 24. Febr. 1911

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^♦Hibahnpolitik in den nordafrikanischen Kolonien Frankreichs, ibrt und Schiffahrtspolitik in den Vereinigten Staaten von Amerika

Dr. Bernhard Harms

o. Prof, und Direktor des Staatswissenichaftl. InstituU a. d. Universität Kiel

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Verlag von Gustav Fischer 1911.

ungen in der ostasiatischeri Schiffahrt

Alle Rechte Vorbehalten.

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Hochansehnliche Gäste! Verehrte Kollegen!

Liebe Kommilitonen!

Das Institut, dessen Eröffnung wir heute feiern, hat im „Staatswissenschaftlichen Seminar“ seit Jahren einen Vor- läufer gehabt, ist aber in den letzten Semestern wesentlich erweitert worden und wird in seiner völligen Neuorganisation erst im nächsten Sommersemester ins Leben treten. Wir stehen heute gewissermaßen am Ende unserer Vorarbeiten, sind uns über die Richtlinien, die wir einzuhalten haben, im großen und ganzen klar geworden und hoffen in die eigentliche Arbeit jetzt eintreten zu können. Der Freude darüber, daß dieses Ziel nun endlich erreicht ist, glaubten wir Lehrer und Mitglieder dieses Instituts auch äußeren Ausdruck geben zu sollen, und so haben wir uns erlaubt, einen kleinen Kreis von Gästen, bei denen wir freundliches Interesse für unsere Bestrebungen voraussetzen durften, hierher zu laden, um mit uns eine Art Richtfest zu be- gehen. Ich danke Ihnen, daß Sie dieser Einladung so zahl- reich gefolgt sind, begrüße Sie aufs herzlichste und bitte um die Erlaubnis, diesen Teil der Feier dazu benutzen zu dürfen, Ihnen einiges über Wesen und Aufgaben unseres Instituts zu sagen.

Kann im allgemeinen behauptet werden, daß die Lehrer der Nationalökonomie an deutschen Universitäten schon ver-

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hällnismäßig früh dazu übergegangen sind, die bloßen Vor- lesungen durch praktische Übungen zu ergänzen ich er- innere an das volkswirtschaftliche Seminar Bruno Hilde- brands in Jena, dem schon Ende der 6oer Jahre Schüler aus allen Ländern der Erde zuströmten so trifft dies für Kiel nicht zu. Hier blieb es unserm Kollegen Hasbach, der heute leider verhindert ist, in unserer Mitte zu weilen, vorDehalten, Ende des Jahres i8qq ein Staatswissenschaft- lich 5S Seminar zu gründen. Die hierfür zur Verfügung stel enden Mittel waren freilich bescheiden genug: ein Etat von 300 Mark, aus dem sowohl der Grundstock der Biblio- thel : als auch die laufenden Ergänzungen zu beschaffen waien. Im Hause Düsternbrookerweg 40 wurden 2 Zimmer gemietet, die es ermöglichten, einen kleinen Kreis von beson- ders begabten Schülern mit dem hochgeschätzten Lehrer in erni .ter Arbeit zu vereinigen. Leider war aber hier des Bleibens nicht lange, denn schon im nächsten Jahre war das Seminar obdichlos, so obdachlos, daß der Herr Kurator sich bereit finden lassen mußte, den einzigen Schrank des Seminars, naci vorheriger Feststellung seiner Dimensionen, im Kon- sistorialgebäude unterzubringen. Später wurde dem Seminar ein Zimmer in der Universität angewiesen, das im Laufe der Zeit durch Anschluß an die Dampfheizung sogar im Winter benutzt werden konnte, während die „kostspielige Einrichtung einer Waschgelegenheit“ sich vorläufig nicht ernr öglichen ließ. Dafür gelang es aber, nach weiteren zwei Semestern die Anschaffung eines Bücherregals durch- zus<!tzen. Das Zimmer selbst war so klein, daß kaum 10 Personen gemeinsam die Füße unter den einzigen Tisch

setz en konnten. j

Es geht aus den Akten immer wieder hervor, daß Herr j

Kollege Hasbach unablässig tätig war, diesen unhaltbaren Zusiänden ein Ende zu machen, leider hat er aber den Erfolg nur teilweise noch gesehen, weil sein Gesundheitszustand ihn bedauerlicherweise nötigte, vom Lehramt zurückzutreten.

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Sein Nachfolger, Herr Prof. Bernhard, nahm sich des Seminars sofort an und beantragte beim Herrn Minister eine außerordentliche Auffüllung des Bibliothekfonds und die Errichtung einer besonderen Abteilung für die volkswirt- schaftlichen Fragen des Seewesens. Beides wurde vom Herrn Minister bewilligt. Es kam aber weder zur Verwendung der Mittel, noch zur Gründung jener Abteilung, da Herr Kollege Bernhard seinem hiesigen Wirkungskreise durch die Berufung nach Berlin entrückt wurde.

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Mir selbst ist bei meiner Berufung nach Kiel die Über- siedlung des Seminars in geeignetere Räume sofort und in entgegenkommendster Weise vom Ministerium zugesichert worden, so daß meine Tätigkeit hier von vornherein unter den günstigsten Auspizien stand, um so mehr, als auch Herr Konsistorialpräsident Dr. Müller, der Kurator unserer Uni- versität, dem Seminar lebhaftes und seitdem oft betätigtes Interesse entgegenbrachte. So wurde denn an einem trüben Dezembermorgen des Jahres igog der gesamte Hausrat des Seminars auf einen Handwagen gepackt und wir hielten Einzug in diese Räume, damit endlich den Boden findend, der eine ersprießliche Seminartätigkeit ermöglichte.

Die erste Arbeit galt der Einrichtung unseres neuen Heims und der Schaffung einer wenigstens die Unterrichts- bedürfnisse befriedigenden Bibliothek, damit so bald wie irgend möglich der Betrieb eröffnet werden konnte. Dies ist denn auch noch gegen Ende des Winters igog/10 geschehen und seitdem haben wir mit steigender Frequenz gegen- wärtig haben wir 100 Mitglieder in jedem Semester eine Reihe von Übungen auf den verschiedensten Gebieten der praktischen und theoretischen Nationalökonomie ab- gehalten.

Unsere Pläne gingen aber weiter. Dies zu be- gründen, bitte ich etwas ausholen zu dürfen. Die deutsche Nationalökonomie befindet sich heute in einer schweren Krisis. Nach zweierlei Richtung. Einmal werden je länger desto mehr

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Zv 'eifei darüber laut, ob die bisher von uns gepflegten For- sdiungsmethoden die richtigen sind. Bei den engen Be- ziehungen, die gerade auf unserm Gebiet zwischen Theorie urd Praxis bestehen, lag die Gefahr nahe, der forschende Gelehrte möchte sich bei seinen Studien weniger dem zu- wenden, was ist, als dem, was sein soll. Schießen nun au :h die in dieser Beziehung gerade in letzter Zeit laut ge- wordenen Urteile ganz erheblich über das Ziel hinaus, indem sie verkennen, daß die Wirtschaftswissenschaft innerhalb be- st! nmten Umfanges auch zu objektiven Werturteilen und danit zu praktischen Vorschlägen für die Gestaltung der Diige kommen kann was noch lange nicht mit „Tages- po itik“ im üblen Sinne dieses Wortes identifiziert zu werden braucht so darf doch behauptet werden, daß jene Gefahr in der Tat für manchen unter uns verhängnisvoll geworden ist Und auch ganz allgemein würde es der deutschen Nationalökonomie sicher nur nützlich sein, wenn sie sich in stärkerem Maße als es bisher geschehen ist, der sog. exikten Wirtschaftsforschung zuwenden wollte.

Dieser Methodenstreit, der neuerdings mit nicht zu leignender Einseitigkeit immer wieder erörtert wird und ma nche Blüte zeitigt, die sich besser nicht geöffnet hätte, be 'ührt aber keineswegs die Hauptursache der Krisis in der Nationalökonomie. Viel wichtiger scheint mir zu sein, daß unsere Wissenschaft in dem systematischen Anbau neuer Gebiete des modernen Wirtschafts- lebens nicht genügend Initiative besitzt und sich vom Ausland Jahr für Jahr mehr in den Hintergrund dringen läßt. Freilich: die Zahl der Bücher, die wir sei reiben, ist Legion und im Hinblick auf die Menge des bedruckten Papiers marschiert die deutsche Volkswirtschafts- lehre sicher immer noch an der Spitze aller Nationen. Wie eng aber ist der Kreis, in dem wir uns drehen! So sind manche unter uns auch heute noch der Meinung, daii es eine zünftige Wirtschaftsgeschichte an deutschen

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Universitäten überhaupt nicht gäbe, sondern es immer noch so sei wie einst, als der junge Nationalökonom sich durch I Forschungen auf dem Gebiete brandenburgisch-preußischer

Geschichte oder mittelalterlichen Städtewesens die Sporen I verdienen mußte und niemals lernte einen anderen Gaul zu

I reiten. Es gereicht der deutschen Nationalökonomie sicher

I zum Ruhme, der Wirtschaftsgeschichte in den Sattel geholfen

I zu haben. Dabei aber sollte sie es bewenden lassen, denn

die Zeiten haben sich inzwischen geändert. Die Geschichts- forschung ist so spezialisiert, und insonderheit die Wirtschafts- geschichte von dazu berufener Seite so glänzend entwickelt worden, daß wir uns eine andere Rolle als die des Lernen- ' den nicht mehr vindizieren sollten. Die historische Richtung

' in der Nationalökonomie hat, bei aller Anerkennung ihrer

Verdienste, heute wirklich nur noch historische Bedeutung.

Ich hoffe bei der Feststellung dieser Tatsache um so weniger mißverstanden zu werden, als ich selbst seit lo Jahren historischen Studien obliege und infolge übernommener Ver- pflichtungen ihnen meine Mußestunden auch ferner widmen muß.

Oder ein anderes Gebiet. In den sechziger Jahren stand in Deutschland die „Freihandelsschule“ in Blüte. Und, als ob bei uns immer nur Raum für eine Richtung sei, beherrschte sie lange Zeit alle denkenden und nichtdenken- den Köpfe. Erst in den siebziger Jahren machte sich gegen diese einseitigste aller Doktrinen Widerspruch geltend. Vor allem protestierten damals deutsche Nationalökonomen, die sich im „Verein für Sozialpolitik“ zusammen geschlossen hatten, gegen das Prinzip des laisser-aller, laisser-passer auf dem Gebiete der Arbeiterfrage. Und sicher ist es wesentlich ihrem Einflüsse zu danken, daß das deutsche Reich jene großzügige Sozialpolitik einleitete, die für alle Zeit ein Ruhmesblatt in seiner Geschichte bleiben wird. Daß man inzwischen an den „Kathedersozialisten“ manches auszusetzen gehabt hat, braucht diese wenig zu kümmern. Unter dem Gesichts-

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wi ikel ihrer Zeit betrachtet, haben sie wissenschaftlich und prj.ktisch unvergängliche Verdienste. Daran werden auch diejenigen nichts ändern, die heute glauben, mittels „exakter“ Methoden die Notwendigkeit des Antisozialen begründen zu körnen.

Eine unliebsame Folgeerscheinung hat jene Richtung, dit Jahrzehnte hindurch in Deutschland dominierte und in ihien Epigonen zeitweise eine erstaunliche Einseitigkeit bezeugte, freilich doch gehabt. Sie bewirkte nämlich, daß bis in unsere Tage hinein viele Nationalöko- nemen das wirtschaftliche Leben beinahe ausschließ- lich unter sozialwissenschaftlichem Gesichtswinkel (ini engeren Sinne) betrachteten und sich mit Vorliebe (ich selbst schließe mich auch hier wieder ein) sozialtheoretischen Studien (Sozialismus, Kommunismus, Anarchismus) zuwen- de en, oder aber die sich aus dem Arbeits Verhältnis ergebenden praktischen Fragen (Sozialpolitik) in den Mittel- puikt ihrer Studien rückten. Es kann auch garnicht be- stritten werden, daß in Bezug auf das letztere Arbeitsgebiet selir oft „wissenschaftliche“ Untersuchungen veröffentlicht WC rden sind, die mit Wissenschaft nichts zu tun hatten, indem sie sich im wesentlichen darauf beschränkten, an eine immer nu* sekundäre Erscheinung heranzutreten, um sie nicht selten bloß gefühlsmäßig zu sezieren ohne ihren primären Ul Sachen den komplizierten Zusammenhängen und Be- dii gingen des inzwischen völlig veränderten (nationalen uni internationalen) Wirtschaftslebens genügende Al imerksamkeit zuzuwenden. Gerade diese Tatsache hat, wij keine andere, die deutsche Nationalökonomie in Miß- kredit gebracht. Und auch hier ist keine Besserung dadurch he: ’beigeführt worden, daß die „Antikathedersozialisten“ nun eb ;nso einseitig und ebenso gefühlsmäßig das Arbeitsverhältnis zur Abwechslung einmal vom Standpunkt des U nter- nehmers betrachten, was auch dadurch um nichts ge- mi.dert wird, daß in das Arbeitsgebiet jener Reformer noch

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die Wohnungsfrage ein geschlossen und bis zum Überdruß „gelöst“ wird als ob es auf dem weiten Gebiete der Nationalökonomie so garnichts anderes gäbe!

Selbstverständlich finden wir unter den deutschen Nationalökonomen auch solche, die sich von der hier er- örterten Einseitigkeit freigehalten haben und den Blick auf das große Ganze gerichtet hielten und neue Probleme der Lösung entgegenführten. Aber täuschen wir uns nicht: zu 75% stehen wir, der eine weniger, der andere mehr, unter dem Einfluß jener Schulen, die ich soeben kurz skizzierte.

Das ist ein Zustand, aus dem wir herauskommen müssen. Selbstverständlich ist dies nicht so gemeint, daß nun Jeder sich mit allem beschäftigen soll. Das Spezialistentum im guten Sinne des Wortes ist heute ganz unentbehrlich, zumal auf dem schier unübersehbaren Gebiet der Nationalökonomie. Es muß sich aber auf das ganze Gebiet des Wirtschafts- lebens erstrecken und zu einer Arbeitsteilung führen, die den großen Organismus in allen seinen Gliedern erfaßt. Wir müssen uns davor hüten, alle auf denselben oder ver- wandten Gebieten Spezialisten zu sein. Und nachdem wir uns jetzt ein Menschenalter hindurch mit der „sozialen Frage“ befaßt haben und dafür gesorgt ist, daß ihre Erörterung niemals mehr von der Tagesordnung verschwinden wird, sollten wir unsere Forscherarbeit jetzt zunächst einmal jenen zahlreichen Gebieten zuwenden, die bisher noch brach liegen oder doch erst leise Furchen zeigen.

Damit komme ich zum Ausgangspunkt zurück. Wir in Kiel wollen in Erkenntnis dessen, daß wir allzumal Sünder sind die Konsequenzen aus dem Erörterten ziehen. Unser Institut hat drei Abteilungen erhalten, deren erste eine Fortsetzung des Staatswissenschaftlichen Seminars ist und die Aufgabe hat, den Vorlesungen ergänzend an die Seite zu treten. Sie soll den Studierenden eine allgemeine Einführung in die Nationalökonomie gewährleisten, sie lehren.

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w ssenschaftlich zu denken und ihnen die sicheren Forschungs- er^ebnisse vermitteln. Sie ist die Schule die jeder durchzu- m ichen hat, bevor er sich irgend einem Spezialgebiet zu- w mdet. Diese Abteilung soll aber auch jenen dienen, die v( n anderen Wissenschaften kommen und zu uns in ein bloßes Hospitantenverhältnis treten, wobei ich besonders an Juristen, Naturwissenschaftler und Philologen denke, die ja n< uerdings den Wert nationalökonomischer Bildung schätzen le ’nen und in unseren Reihen im Hinblick auf ihre spätere Lebensarbeit besonders willkommen sind.

Zwischen Juristen und Nationalökonomen ver allem sollte ein freundnachbarliches Verhältnis bestehen, denn das ist wohl sicher: Ebenso sehr wie die Jurisprudenz des Einblicks in das Getriebe des modernen Wirtschafts- lebens je länger desto mehr benötigt, damit sie imstande isl, neben der bloßen Form, in welche die Rechtsordnung di i juristischen und sozialen Tatsachen kleidet, auch den materiellen Gehalt dieser Tatsachen zu würdigen, ebenso- seir, meine ich, bedarf auch die Nationalökonomie des juristischen Verständnisses, wenn anders sie nicht Ge- fair laufen will, Wesen und Bedeutung der Organisation menschlicher Gesellschaft zu verkennen. Es ist der Rechts- stiat in dem wir leben, dieser aber ist ohne Verständnis fü* seine Normen schlechterdings nicht zu begreifen. So le ren wir dann auch großen Wert darauf, daß unsere jungen N itionalökonomen nach Möglichkeit auch durch die juristische Schule gehen oder, sofern dies in absoluter Vollständigkeit ni :ht angängig ist , wenigstehs die für sie in Frage kom- m mden Gebiete des öffentlichen Rechts, Rechtsgeschichte, sowie Handels- und Gewerberecht studieren.

Aber auch zwischen Naturwissenschaften und Nationalökonomie spinnen sich die Fäden. Nicht nur daß die gioßen naturwissenschaftlichen Entdeckungen des i8. und IC. Jahrhunderts eine förmliche Revolution unseres gesamten W irtschaftslebens herbeigeführt und ermöglicht haben und

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demgemäß die Wirtschaftswissenschaft ohne ihre Kenntnis den Zusammenhängen unzähliger Lebensäußerungen wirtschaft- licher und sozialer Gebilde völlig unverständlich gegenüber- stehen würde, sondern auch in der Gegenwart fühlt sie täg- lich, wie die Arbeit in den Laboratorien von ständiger Wirkung auf die Volkswirtschaft ist und nicht selten für ganze Teile derselben neue Lebensbedingungen schafft. Anderseits vermögen freilich auch wir den Naturwissen- schaften zu geben. Nicht nur, daß aus dem eben Erörterten die Wechselwirkung sich von selbst ergibt. Darüber hinaus können wir vor allem denjenigen behilflich sein, die als Chemiker oder Physiker in das praktische Leben treten und hier in großen gewerblichen Betrieben den Pulsschlag der Volkswirtschaft so deutlich wie kaum ein anderer zu fühlen bekommen. Ich begrüße es deshalb besonders freudig, daß gerade hier in Kiel zwischen Naturwissenschaften und Volks- wirtschaftslehre sich engere Beziehungen an gebahnt haben, die zu pflegen, ich immer als eine bedeutsame Aufgabe be- trachten werde. Nicht unerwähnt lassen will ich in diesem Zusammenhänge, daß das preußische Kultusministerium Herrn Prof. Feist an unserer Universität einen besonderen Lehr- auftrag für technologische Chemie gegeben und damit jene Be- ziehungen in dankenswerter Weise wesentlich gefördert hat.

Daß die Nationalökonomie endlich auch Denjenigen mancherlei bieten kann, die später als Lehrer unserer Jugend das schönste Amt bekleiden, das ein Staat zu vergeben hat, braucht nicht ausführlicher erörtert zu werden, denn die Er- ziehung heranwachsender Generationen zu Staatsbürgern, die über ihren engeren Beruf hinaus dem großen Ganzen sich verpflichtet fühlen, erfordert ein Studium der Lebens- bedingungen des modernen Staates. Eben dies aber führt ganz von selbst zur Nationalökonomie.

Ist somit der Rahmen unserer „Allgemeinen und vor- bereitenden Abteilung“ weit genug gespannt, um allen

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billigen Anforderungen gerecht zu werden, so würde ich dcch etwas für Kiel besonders Charakteristisches unerwähnt laisen, wenn ich nicht noch hin wiese auf ein weiteres “W irkungsfeld, das sich ihr erschlossen hat. Ich meine die Beziehungen zur hiesigen Marineakademie, der als Dozent anzugehören, mir eine besondere Freude ist. Der bloßen Vorlesungstätigkeit sind auch hier seit zwei Semestern prak- tis she Übungen an die Seite getreten, die ebenfalls in unserer allgemeinen Abteilung abgehalten werden. Die Herren der A cademie treten als Mitglieder mit allen Rechten und Püichten in unser Institut ein, und wenn ihnen, woran ich nicht zweifle, die gemeinsame Arbeit die gleiche Freude macht wie mir, so dürfen wir wohl die Überzeugung haben, m: t dieser in allen Marinen der Welt sicher einzig dastehenden Methode auf dem richtigen Wege zu sein.

Über diese „Allgemeine Abteilung“ hinaus soll unser Institut der Spezialforschung dienen. Einmal in der Richtung auf die Statistik, welche, von einigen gl inzenden Ausnahmen abgesehen, an den meisten deutschen U liversitäten im Gegensatz zu früheren Zeiten heute eine üter die Maßen kümmerliche Rolle spielt und sich auch in den Fakultäten zumeist nicht jenes Ansehens erfreut, das ih in Wirklichkeit zukommt. Der müssige Streit, ob die St atistik eine vollwertige Wissenschaft oder eine bloße „Hilfswissenschaft“ sei, soll hier unerörtert bleiben. Denn daß sie, so oder so, für die Nationalökonomie ein ganz ur entbehrliches Instrument ist, genügt allein schon, um die Fliege ihrer Methoden gerade in unserer Wissenschaft zu re :htfertigen. Nicht bloß auf dem Gebiete der Bevölkerungs- lelire, sondern sozusagen in allen Zweigen der Volkswirt- sciaft kommen wir ohne die Statistik nicht aus. Und gfrade jenes so oft zu hörende Urteil, daß es drei Arten ven Lügen gäbe: die Notlüge, die gemeine Lüge und die Statistik (will sagen, daß man mit der Statistik alles be-

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weisen könne), zeigt, wie wenig ihre wahre Bedeutung er- kannt wird. Exakte Statistik kann immer nur zu einem Resultat führen und der geschulte Statistiker hat für jene gegenteilige Anschauung nichts als ein mitleidiges Lächeln. Statistik zu treiben und Statistik zu verstehen, will gelernt sein! In dem Maße, als diese Erkenntnis sich durchsetzt, wird auch das heute meist durch Sachkenntnis nicht getrübte Urteil gegenüber dieser Disziplin verstummen. Wir in Kiel legen jedenfalls großen Wert darauf, daß unsere Nationalökonomen sich der Statistik in ausgiebigster Weise widmen und wir begrüßen es, daß ihr auch beim Doktor- examen die Stellung eines selbständigen Faches eingeräumt ist. Dies rechtfertigt sich an unserer Universität umsomehr, als wir unter uns einen der hervorragendsten Statistiker Deutschlands haben, Herrn Kollegen Tönnies, der leider durch ICrankheit abgehalten ist, heute Abend hier zu sein. Herr Kollege Tön nies hält in jedem Semester statistische Vorlesungen und Übungen ab, er ist es, der unserer Ab- teilung für Statistik ihren charakteristischen Stempel auf- drückt.

Bei dieser Gelegenheit sei es gestattet, dem Königl. Preuß. Statistischen Landesamt dafür zu danken, daß es uns die Akten des ehemaligen Schleswig- Holsteinischen Statisti- schen Amts überwiesen hat, ein Material, daß große Aus- beute verspricht und gleichzeitig der Anschauung in den praktischen Übungen dienen wird.

Unsere dritte Abteilung ist offiziell durch Erlaß des Herrn Ministers vom 10. Febr. 1911 ins Leben getreten, nachdem die vorbereitenden Verhandlungen bereits früher abgeschlossen waren. Sie führt den Namen: Abteilung für Seeverkehr und Weltwirtschaft, firmiert nach außen aber auch als selbständiges Institut. Mit ihr wird an deutschen Hochschulen zum ersten Male die Weltwirtschaft in den Mittelpunkt systema-

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ti icher Studien gestellt und die Aufgabe in An- gl iff genommen, die Volkswirtschaftslehre zur V/ eit wirtschaftslehre fortzubilden. Daß dies an si(h eine dringende Gegenwartsaufgabe ist, kann objektiv ni :ht bestritten werden, wenngleich gerade hier mancherlei Vorurteile zu überwinden sind nicht zuletzt auch in Fachkreisen. Wird doch sogar behauptet, daß es eine Vi eltwirtschaft, deren Erscheinungen in wesentlichen Punkten vcn denen der Volkswirtschaft abweichen, überhaupt nicht gebe! In Wirklichkeit sei die „sog. Weltwirtschaft“ nichts arideres als, ich zitiere Karl Bücher, das „Nebeneinander- bestehen von Industrie- und Rohproduktionsländern, die gegenseitig aufeinander angewiesen sind“; diese „inter- na tionale Arbeitsteilung“ sei aber nicht als „ein Zeichen anzusehen, daß die Menschheit eine neue Stufe der Ent- wicklung zu erklimmen im Begriff stehe, die unter dem Namen Weltwirtschaft den drei früheren Stufen (Hauswirt- sciaft, Stadtwirtschaft, Volkswirtschaft) gegenübergestellt worden müßte“.

Darauf ist indessen zu erwidern: das Ineinandergreifen vcn räumlich auseinanderliegenden Produktions- und Kon- sumtionsgebieten müssen wir für jede „Wirtschaftsstufe“ an nehmen. Selbst eine „geschlossene Hauswirtschaft“, wie si( Bücher konstruiert, hat es vermutlich niemals gegeben. "Wir in Kiel brauchen nur einen Blick in unser Altertums- m iseum zu werfen, um zu sehen, wie sehr in unsern Landen sc lon auf der Stufe der Hauswirtschaft die Versorgung mit gewissen Rohstoffen aus den entferntesten Gegenden gang urd gäbe war. Und bei den heutigen Völkern auf primi- ti\er Wirtschaftsstufe, wie etwa bei den Papuas auf Neu- Giiinea oder den Sakais auf Sumatra ist von Reisenden eine geschlossene Hauswirtschaft in Bücher’schem Sinne niemals konstatiert worden. Und daß die mittelalterliche Stadtwirt- sciaft zu keiner Zeit so „geschlossen“ war, als es die Wirt- sc laftsstufentheorie erfordert , hat nach den glänzenden

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Untersuchungen Georg von Belows selbst Bücher, wenn auch nur verklausuliert, zugeben müssen.

Will man aber gar das bewußte Eingreifen der Men- schen in den Gang des Wirtschaftslebens, die Wirtschafts- politik, als Maßstab für die Stufenleiter einsetzen, so ergibt sich zwischen Stadtwirtschaft und moderner Volkswirtschaft prinzipiell überhaupt kein Unterschied. Ich habe schon früher darauf hingewiesen ^), daß die Wirtschaftspolitik der mittelalterlichen Stadt sich im Staat unserer Zeit vor allem in Deutschland durchaus widerspiegelt. Auch wir schrecken heute vor sehr tief in die Bewegungsfreiheit des Einzelnen eingreifenden Normen keineswegs zurück. Und in der Fernhaltung unliebsamer Konkurrenz ist man in unseren Tagen nicht weniger rigoros als damals. Die Rück- sicht auf die wirtschaftlichen und sozialen Interessen der Volksgenossen beherrscht uns ebensosehr ja noch mehr als die maßgebenden Kreise der kleinen V/^irtschaftszentren des Mittelalters. Daß die territoriale Basis der politischen und damit der wirtschaftlichen Einheit sich erweitert hat, ändert nichts an den grundsätzlich gleichen, die Politik be- stimmenden Motiven. Nur in den Mitteln und Wegen unterscheidet sich unsere Wirtschaftspolitik von derjenigen des Mittelalters.

Unter dem Gesichtswinkel Büchers kann man dem- nach zum Begriff der Weltwirtschaft in der Tat nicht kommen. Soll nun aber das, was heute in den internatio- nalen Sprachgebrauch allgemein übergegangen ist, wirklich nur ein Phantasieprodukt sein? Steht es unwiderruflich fest, daß der Nationalökonom mit dem Begriff Weltwirtschaft nichts anzufangen weiß, und damit unsere Abteilung von vornherein der Verdammnis anheimfiele? Doch wohl nicht. Um dies zu erhärten, lassen Sie uns vom Begriff der Volks- wirtschaft ausgehen.

I) Schmollers Jahrbuch, 1905» S.

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Volkswirtschaft ist der Inbegriff der ganzen wirt- s( haftli eben Tätigkeit eines politisch geeinten Volkes. Dis, was hier gemeint ist, würden wir richtiger National- WTtschaft oder, bei der Flüssigkeit der Begriffe Volk und N ition, Staatswirtschaft nennen, wenn dieser Ausdruck neuer- diags nicht auf das Finanzwesen zugespitzt worden wäre. Dis gesamte Wirtschaftsleben innerhalb eines Staates, das is ’s, was wir heute schlechtweg unter Volkswirtschaft ver- stihen oder, um mit Fuchs zu reden: „Die Gesamtheit der Anstalten, Einrichtungen und Vorgänge, welche die Bedürfnisbefriedigung im ganzen Volke hervorruft“. Aber wohl gemerkt: es handelt sich hierbei nicht um das „Tech- nische und Individuelle der wirtschaftlichen Tätigkeit der einzelnen Menschen (Privatwirtschaft), sondern bloß um die dabei entstehenden Wechselwirkungen. Volkswirtschaft in unserem Sinne ist demnach immer nur Abstraktion.

Um etwas ganz ähnliches handelt es sich auch b( i dem Begriff Weltwirtschaft. Zwar fällt die politisch ah gegrenzte territoriale Basis hier fort, indem an ihre Stelle das Gesamtgebiet der einzelnen Volkswirtschaften tritt und eben deshalb reden wir von der „Welt“. Dies ist aber für die A lalogie nicht entscheidend, sondern auschlaggebend ist die Intensität der Wechselwirkungen, die durch die w rtschaftliche Tätigkeit der diese „Welt“ bewohnen- den Menschen über die Grenzen der einzelnen Staaten hinaus entsteht. Und im Hinblick hierauf wird man sagen dürfen, daß in keiner Zeit diese Wechselwirkungen so ausgeprägt gewesen sind als in der unsrigen. Es handelt sich heute nicht mehr, wie fast immer in der Vergangenheit aut allen Stufen des Wirtschaftslebens, um eine bloße Er- nzung eigener Produktion, um das „Nebeneinanderbestehen voi Industrie- und Rohproduktionsländern“, die ihren Über- fluß austauschen, sondern die internationalen wirtschaftlichen Beziehungen sind heute derartig kompliziert und die dabei en stehenden Wechselbeziehungen so unendlich mannigfaltig.

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daß sie ganz unmöglich auf so kurzen Ausdruck gebracht werden können. Ich erinnere an das internationale Ver- kehrswesen, an Eisenbahnen, Post, Telegraph, drahtlose Tele- graphie und Schiffahrt. Welch eine Fülle von Wechsel- beziehungen zwischen den einzelnen Nationen werden da- durch geschaffen und wie groß ist heute bereits die Zahl der Rechtsnormen, denen alle zivilisierten Staaten in gleicher Weise unterstehen. Ich verweise ferner auf das internationale Bankwesen und die Regelung des internationalen Zahlungs- verkehrs, auf die großen Kapitalkonzerns, denen nationale Grenzen längst gleichgültig geworden sind und die heute in Sachalin nach Petroleum bohren, morgen in Marokko Minenkonzessionen erwerben, übermorgen den Bau der chinesischen Eisenbahnen unter sich aufteilen, kurz überall auf dieser Erde zur Stelle sind, wo dem Geldkapital lohnende Aufgaben winken. Ich erinnere an die folgenschwere Wir- kung der durch die modernen Verkehrsmittel ermöglichten Weltkonkurrenz auf dem Gebiete der agrarischen Bedarfs- befriedigung, an das internationale Kartellwesen mit seiner grandiosen Organisation, an die internationalen Schiffahrts- verbände und an die Tatsache, daß fast alle großen Unter- nehmungen das Bestreben zeigen, in Form von Filialen und Tochterunternehmungen ihre Tätigkeit über die eigene Volkswirtschaft auszudehnen. Zu verweisen wäre ferner auf das internationale Anleihewesen, das nicht selten auch unmittelbar zu wirtschaftlichen Wechselbeziehungen führt. Und daß endlich niemals irgend welche Zeit einen so enormen internationalen Güteraustausch gesehen hat, wie trotz aller Schutzzollpolitik die unsrige, bedarf keiner Erörte- rung, und auch die Tatsache spricht für sich selbst, daß der „Kampf um den Weltmarkt“, wie wir ihn heute sehen, für unsere Zeit und für diese allein etwas absolut charakte- ristisches ist.

Die deutsche Wirtschaftswissenschaft würde unfehlbar der Stagnation verfallen, wenn sie alle diese Dinge in ihrer

Harms, Staatswiss. Inst, in Kiel. 2

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Bedeutung unterschätzte und nicht einsähe, daß sich hier ein Komplex von Erscheinungen offenbart, der unser Wirt- schaftsleben von demjenigen aller früheren Zeiten deutlich ä)hebt. Die Weltwirtschaft ist kein Phantom, sie ist Wirk- lichkeit. Und sofern nun das, was ist, aber auch alles, as wirtschaftlich ist, in den Kreis unserer Aufgaben ge- h)rt, so kann man sich höchstens darüber wundern, daß wir heute das erste weltwirtschaftliche Institut eröffnen.

Damit habe ich auch schon den Aufgabenkreis unserer „Abteilung für Seeverkehr und Weltwirtschaft“ abgegrenzt.

\/ir wollen das internationale Wirtschaftsleben be- «

obachten, seine Bedingungen und Lebensäußerungen i

s cwohl erforschen wie lehren. Internationales Wirt- '

schaftsleben im weitesten Sinne und unter vierfachem Ge- sichtswinkel: Beschreibung, Geschichte, Theorie und Politik, niit dem Ziel: die Volkswirtschaftslehre zur Weltwirtschaf ts- khre fortzuentwickeln.

Vornehmste Aufgabe wird zunächst sein, die wirtschaft- lichen Tatsachen festzustellen, denn jede weitere Forschung hat von ihnen auszugehen. Philippe vich hat diese Auf- gabe für die Volkswirtschaftslehre so formuliert, daß es darauf ankomme, „aus dem gesellschaftlichen Leben der lilenschen jene Veranstaltungen, Einrichtungen, Handlungen und Urteile herauszuheben, welche der Fürsorge für den I edarf an materiellen Gütern gewidmet sind“. Indem wir diese Formulierung für unsere Untersuchungen der ver- schiedenen Volkswirtschaften akzeptieren, sind wir uns aDer völlig klar darüber, daß hiermit ein Schritt über die Volkswirtschaftslehre hinaus noch nicht getan ist, indem wir solcherweise ja nichts anderes tun als von aaßen in das Wirtschaftsleben bestimmter Staaten hinein- 1( suchten und der Volkswirtschaftslehre jener Länder ergänzend oder absehend an die Seite treten. Gewiß ist auch dies e.ne wichtige Aufgabe, denn die Kenntnis nichtdeutschen

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Wirtschaftslebens ist, trotz sehr vieler ausgezeichneter Unter- suchungen, bei uns noch nicht annähernd so gefördert als es wünschenswert erscheint. Aber grundsätzlich ist damit ein Schritt über die Volkswirtschaftslehre hinaus noch nicht getan. Die Beschreibung von Tatsachen im Sinne der Weltwirtschaftslehre liegt erst vor, wenn die Beziehungen der einzelnen Volkswirt- schaften untereinander und die dabei entstehenden Wechselwirkungen zur Darstellung kommen.

Ich möchte das an einem Beispiel erklären. Wenn wir Untersuchungen anstellen über die Petroleumindustrie in Amerika, Rußland, Birma, Sumatra oder Borneo, so bedeutet dies nichts anderes als einen Beitrag liefern zur Er- forschung der Volkswirtschaft jener Länder. Die Organi- sation des internationalen Petroleumhandels und des damit verbundenen Trustwesens mit seinen unzähligen Wechsel- wirkungen hingegen fällt schon in das Gebiet der Welt- wirtschaftslehre. Es wird aber weiter zu untersuchen sein, ob das Petroleum nicht noch andere Wirkungen auf das interationale Wirtschaftsleben gehabt hat. Und sofort tritt eine ganze Fülle solcher Wirkungen vor unser Auge. Lassen Sie mich nur eine einzige aus allerneuster Zeit her- ausgreifen. Es ist Ihnen bekannt, daß der Weltmarkt zur- zeit eine Hochkonjunktur für vegetabile öle aufweist. Ganz ungeheure Mengen von ölhaltigen Früchten wandern vor allem aus Ostasien nach Europa. Vergleichen wir mit dieser Tatsache die Erweiterung des Anbaus von Ölfrüchten in jenen Ausfuhrländern, so zeigt sich, daß dieser mit der Zu- nahme des Exports keineswegs Schritt gehalten hat. Die Lös- ung liegt beim Petroleum. Durch großartige Absatzorganisa- tion der leitenden Petroleum gesellschaften , der Standard Oil Compagnie und der Asiatic ist in den letzten Jahren der innere Markt Chinas erobert und damit dem Petroleum als Beleuch- tungsmittel ein ganz neues Gebiet von gewaltiger Aufnahme- fähigkeit erschlossen worden. Gefördert wurde dieses Unter-

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iKthmen durch die Preissteigerung der vegetabilen Oie und Fjtte, die im Innern Chinas bisher für Beleuchtungszwecke V erwendung gefunden haben, jetzt aber, da das Ersatzmitel blliger ist, exportiert werden. Diese Ausfuhr hat nun wieder eine schwere Konkurrenz für die ebenfalls der Öl- g jwinnung dienenden Oliven und andere ölhaltige Früchte Italiens und Südfrankreichs zur Folge, wrie sie anderseits ein eihöhtes Angebot für die Ausgangsmaterialien künstlicher Fette (z. B. Margarine) bewirkt und damit auch die euro- p iische Landwirtschaft in Mitleidenschaft zieht. Haben wir ei. hier mit einem Komplex von Erscheinungen zu tun, die letzten Endes auf eine Ursache zurückzuführen sind, so ist nit der Klarstellung dieser Zusammenhänge die Aufgabe dir Wissenschaft von der Weltwirtschaft in dem vorliegen- d in Beispiel noch nicht erschöpft. Denn hat zunächst das d irch besagte Ursache ermöglichte Angebot von vegetabili* s( hen Ölen und Fetten deren Verwendungsgebiet erweitert uid die Technik angespornt (eine neue Wechselwirkung) irimer weitere Verwendungsmöglichkeiten für vegetabilische Cie und Fette zu ersinnen, so wird in dem Maße, als dies Erfolg hat, die Nachfrage über den Umfang des bisher vor- liegenden Angebots hinausgedrängt, was zur Folge hat, daß d er Anbau ölhaltiger Kulturen in allen dazu geeigneten Ländern aisgedehnt wird. Dies ist auch bereits eingetreten. Die ge- waltige Steigerung der Produktion von Soyabohnen in der [andschurei , der ins Ungemessene gehende Anbau von E rdnüssen in der Provinz Schantung, dem die neuere Blüte unseres Schutzgebietes in der Kiautschoubucht hauptsäch- li:h zu danken ist und die fortwährende Neugründung von E lokusnuß- und Ölpalmenplantagen in den Ländern der t opischen Zone sind einige Zeugnisse dafür. Doch auch damit ist dieses Beispiel noch nicht zu Ende geführt. Die gesteigerte Produktion von öl- und fetthaltigen Vegetabilien fl ihrt mit Notwendigkeit zur Disproportion zwischen Angebot u nd vorläufiger Nachfrage, was ein Sinken der Preise zur Folge

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hat. Dies wieder ermöglicht und erfordert die Erweiterung des Absatzgebietes und schon richten sich die Blicke der hieran Interessierten auf jene Millionen-Völker, denen infolge religiöser Vorschriften der Genuß von tierischen Fetten ver- boten ist. Es wird die Religionskarte zur Hand genommen und der neue Markt zunächst einmal territorial abgesteckt und dann systematisch bearbeitet. Und eben das sehen wir in diesem Augenblick.

Ich frage nun: wo ist Raum für die Untersuchung dieser komplizierten Wechselwirkungen im Rahmen der Volkswirt- schaftslehre, die sich mit der wirtschaftlichen Bedarfsgestal- tung innerhalb eines politisch geeinten Volkes befaßt!? Und wer müßte nicht lächeln, wenn er hört, daß die „sog. Welt- wirtschaft“ nichts anderes sei als das „Nebeneinanderbestehen von Industrie- und Rohproduktionsländern“. Hierbei soll noch gar nicht einmal in Ansatz gebracht werden, daß alle Rohproduktionsländer das Bestreben haben, auch Industrie- länder zu werden und das internationale Wirtschaftsleben eine so reine Scheidung selbst in dem Verhältnis zwischen Mutterland und Kolonien nicht mehr kennt (vgl. Indien, Kanada), obwohl sie gewissermaßen das Ideal moderner Kolonialpolitik ist. Dieser kolonialpolitische Gesichtswinkel hat sicher auch Bücher bei seiner Stellungsnahm e geleitet, wobei er aber verkennt, daß Weltwirtschaft und Ko- lonialwirtschaft unter gar keinen Umständen in- dentifiziert werden dürfen.

Doch ich habe mich stark in Einzelheiten verloren. Ganz allgemein möchte ich deshalb nur noch darauf hin- weisen, daß die Zahl solcher Wechselwirkungen, wie ich sie in meinem Beispiel geschildert habe, im modernen inter- nationalen Wirtschaftsleben sehr groß ist Denken wir an die Erfindung des künstlichen Indigo, die große Gebiete Süd- indiens zwang zu anderen Kulturen überzugehen, an die voraussichtliche Wirkung der Erfindung des künstlichen Kautschuk für weite Tropengebiete, an den Kampf zwischen

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Rüben- und Rohrzucker, an die Errichtung indischer Jute- fabriken, die den europäischen den Bezug des Rohmaterials ei schweren, an das Aufkommen von Spinnerei und Weberei ir Bombay, die Manchester bedrohen, an die Besiedelung S biriens oder Westkanadas mit ihrer Rückwirkung auf die Landwirtschaft Europas, an die veränderte Stellung des westlichen amerikanischen Kontinents durch den Panama- kinal, an die Verschiebung des internationalen Verkehrs dirch den Bau von Überlandbahnen, etwa der sibirischen, d e uns Ostasien so nah brachte, an die Konkurrenz neuer Industrieländer mit billigen Arbeitskräften, an die Er- s( hließung Chinas mit seiner eminent befruchtenden Wir- king auf Europa und die Vereinigten Staaten usw. usw.

Also schon die bloße Tatsachenbeschreibung stellt d ir Weltwirtschaftslehre unübersehbare Aufgaben. Hierbei wird sie sich auch, wie einst die Volkswirtschaftslehre, der hstorischen Forschung zuwenden müssen, um den geschicht- lichen Werdegang aller dieser Erscheinungen darzulegen, wobei sich zeigen wird, daß das, was wir heute Weltwirt- schaft nennen, sich seit langem vorbereitet hat und seine i^.nfänge keineswegs allein in der Kolonialpolitik findet. Eiese Arbeit müssen wir vorläufig selbst leisten, da keine zünftige Forschung sie uns abnimmt vielleicht, daß in ferner Zeit an deutschen Universitäten auch einmal Lehr- s ühle für Weltwirtschaftsgeschichte errichtet werden und dinn eine neue Generation von diesem Teil unserer Arbeit disselbe sagen kann, was ich vorhin von der historischen Fichtung in der Volkswirtschaftslehre behauptet habe.

Daß ferner auf dem Boden dieser Tatsachenforschung aich theoretische Weltwirtschaftslehre möglich ist, braucht n;cht besonders erörtert zu werden. Hierbei ist freilich zu betonen, daß theoretische Forschung nicht, wie öfter be- hauptet wird, schon dann vorliegt, wenn die Wechsel- beziehungen wirtschaftlicher Tatsachen Gegenstand des Stu-

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diums sind, sondern erst dann, wenn die hierbei beob- achteten Gesetzmäßigkeiten in dem Sinne wie sie Friedrich Julius Neumann für die Volkswirtschaft formuliert hat in den Mittelpunkt gerückt werden.

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Aber auch mit Weltwirtschaftspolitik werden wir uns zu befassen haben. Nicht so, als ob wir Politik machen wollten, sondern beobachtend und darstellend. Der Lauf des Wirtschaftslebens ist zwar innerhalb weiten Umfanges an natürliche Voraussetzungen gebunden, darüber hinaus aber menschlicher Lenkung zugängig, und eben das Ein- greifen der von Menschen geleiteten Staaten in das inter- nationale Wirtschaftsleben nennen wir Weltwirtschaftspolitik, die zwar vom Standpunkte derjenigen, die sie machen, unter dem Gesichtswinkel der Interessen der eigenen Volkswirt- schaft betrieben wird und demnach auch in den Aufgaben- kreis der Volkswirtschaftslehre fällt, die darüber hinaus aber auch internationale Wechselwirkungen auslöst, die unbeab- sichtigt und unbedacht sind. Dies zeigt wieder deutlich ein Blick in die Praxis: Größerbritannien, Panamerika, Ostasien den Asiaten, Panslavismus , Mitteleuropäischer Wirtschafts- verein, oder, um Näherliegendes zu wählen: Tarifreform in England, Schiffahrtspolitik in Amerika, Schutzzollfragen in fast allen Gebieten der Erde, „Kulturprobleme“ in China, Reziprozitätsvertrag zwischen der Union und Kanada, öster- reichische Wirtschaftspolitik auf dem Balkan, englisch-rus- sische Politik in Persien, deutsche Politik im Stromgebiet des Euphrat und Tigris, italienische Invasion in Nordafrika usw. Diese Weltwirtschaftspolitik ist ja heute, im Gegen- satz zu früher, wo die WirtschaftspoHtik nicht selten in den Dienst der sog. großen Politik alias Kabinettspolitik gestellt wurde, Selbstzweck geworden, um dessentwillen die große Politik geführt wird wenn auch viele unserer Diplomaten alter Schule es nicht einsehen wollen. Und je früher ein Staat in die Weltwirtschaft hingezogen wird, um so

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e ler vollzieht sich diese große Wandlung